Medienreise Armenien

Medienreise Armenien, Teil 17

Ashot erklärt, daß auch daraus das politische Desinteresse herrührt und bezeichnet selbiges als typisch im Land. Wichtig sei nur, daß die Politiker alles für das Volk machten. Später wird zudem noch von mehreren Armeniern bestätigt werden, daß Gastfreundschaft- auch in sehr armen Verhältnissen- zum Teil einer Art Kompensationshandlung gegenüber Ausländern entspringt, denen die Probleme des Alltags nicht berichtet werden sollen. Ein Großteil der Menschen in Arzach besitzt quasi nur noch Hoffnung, welche fast eine Doktrin darstellt, weshalb nicht über Schwierigkeiten gesprochen wird. In diesem Zusammenhang wurde auch der Unterschied zu den „mediengewöhnten“ Flüchtlingen in Shushi deutlich.

Teilweise herrschen auch Ängste während der Interviews vor, welche darin begründet liegen, daß zum einen keine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre durch das Einmischen fremder Personen erreicht werden konnte, zum anderen die Gefahr besteht „falsche“ Auskünfte zu geben, welche eventuell kriminelle Strukturen tangieren könnten. Es wird wiederum von einigen Armeniern bestätigt, daß sich inzwischen ganze Familien aus ökonomischen Gründen zusammenschließen und somit das familiäre Netz der Mafia weiter ergänzen.

Medienreise Armenien, Teil 18

Als am 22.06. die Direktorin der Schule Nr. 8 in Stepanakert Ludmila Andreewna konsultiert wird, berichtet auch sie über die Schwierigkeiten im aktuellen Lehrbetrieb und während des Krieges. Da es in Arzach keine richtige Heimatfront gab und somit alles erste Linie war, fand in der Zeit des Kampfes kein Unterricht für eine Vielzahl von Schülern statt. Da die Frauen und ihre Kinder nicht flohen um die Männer zum kämpfen zu ermutigen, spielte sich das Leben in den Kellern ab, in denen teilweise auch unterrichtet wurde. Der Unterrichtsstoff konnte von ganzen Schulklassen aber nie wieder aufgeholt werden. Angeblich soll sich noch heute im Lehrerkollektiv eine Aserilehrerin befinden.

Gegenüber der Schule befand sich das Gesundheitsministerium, wo die „Gesundheitsministerin“ Soja Lasaryan zu einem Interview bereit war. Sie berichtet, daß im staatlichen Sektor 50 % der Stellen mit Frauen besetzt sind und diese einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des Landes leisteten. Im Gesundheitssektor stellen sie sogar 70 %. Ein wesentliches Problem des Gesundheitswesens ist das Fehlen einer Krankenversicherung. So wird beispielsweise die zahnärztliche Versorgung seit 1998 durch ein mobiles Kommando kostenlos sichergestellt, da die Bürger keine finanziellen Mittel hierfür besitzen.

Medienreise Armenien, Teil 19

Finanziert wird das Programm durch armenische und kanadische Hilfsorganisationen und den arzacher „Staat“. Da im Krieg ca. 80 % des gesamten Gesundheitssystems zerstört wurde, ist das System insgesamt noch heute unzufriedenstellend und hat nicht den Stand der SU erreicht. Seit drei bis vier Jahren ist zwar eine positive Entwicklung zu verzeichnen, die fehlende Anerkennung wirkt jedoch hemmend auf sämtliche Schritte zur Etablierung eines effektiven dauerhaften Gesundheitssystems. Durch die vielen finanziellen Engpässe, welche auch aus der mangelnden Kreditwürdigkeit durch fehlenden Rechtsstatus des Gebietes resultieren, bezahlen vor allem Auslandsarmenier die Gesundheitsversorgung ihrer Landsleute. Allerdings fehlen deshalb noch immer Infrastruktur, Geräte und Spezialisten, obwohl statistisch die Ausgaben für Gesundheit im GUS- Durchschnitt von sechs Prozent des Staatsbudgets liegen.

Eine Krankenschwester verdient so im Monat rund 85 US- Dollar.
An diesem Tag nahm man das Angebot an ohne die restlichen Journalisten mit einem Wagen der „Regierung“ Arzachs zurück nach Yerevan zu fahren. Dort angekommen nutzte man das Angebot Ashots bei ihm und seiner Familie die nächsten Tage zu verbringen. Dies war eine gute Möglichkeit in die Mikroebene mehrerer Familie im jüngsten Neubauviertel Yerevans einzutauchen. Dieses Viertel wurde gegen Ende der SU errichtet. An diesem Tag fand eine Geburtstagsfeier statt, zu der man herzlich eingeladen war.

Kulinarisches aus Armenien

Neben Wein, Wodka und Bier wurden lukullische Delikatessen gereicht, beispielsweise Trockenfleisch oder die typischen armenischen Grillgerichte. Die Stimmung war ausgelassen, die Armenier präsentierten sich von ihrer herzlichsten und freundlichsten Seite. Getrübt wurde die Stimmung nur kurz, als ein ebenfalls anwesender Polizist zu einem Trinkspruch auf seinen toten Kollegen anhob, der am gleichen Tag von der Mafia erschossen worden war.

Medienreise Armenien, Teil 20

An diesem Abend lernte man zudem einige Damen kennen, welche sich bereit erklärten am nächsten Tag eine Führung durch Yerevan durchzuführen. In Yerevan gibt es einen echten Bauboom, welcher das Gesicht der Stadt immer stärker verändert. Ein Großteil der Stadt ist nach einem Erdbeben im Monumentalstil der 50er Jahre aus braunem und schwarzem Tuffstein neu errichtet worden. Die geschlossenen Stadtteilensembles besitzen inzwischen einen eigenen Charme, mit großzügigen Grünanlagen, Wasserläufen und einer harmonischen Verbindung mit ursprünglichen Bauten des alten Yerevan.

Viele dieser sehr alten Gebäude, aber auch jene welche in der Stalinzeit errichtetet wurden, fallen dem Bauboom durch Abriß zum Opfer. An ihre Stelle tritt die geschmacklose Einheitsarchitektur zweckrationaler Moderne. Der Charme dieser Stadt könnte durch diese einfallslosen Bauten westlichen Musters tatsächlich verloren gehen.