Medienreise Armenien

Medienreise Armenien, Teil 9

An diesem Tag konnte zudem noch der „Verteidigungsminister“ Seiran Oganian getroffen und eine Kaserne besucht werden. Der Krieg und die permanente Bedrohungslage Arzachs durch den Waffenstillstand hatten auch auf die Verteidigungspolitik tiefgreifende Auswirkungen. Die eingeladenen weiblichen Veteranen berichten, daß es zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts ungesteuert zu einer totalen Mobilmachung kam, was auch den Fronteinsatz und die Unterstützung der Männer in der ersten Linie durch Frauen, Kinder und Alte beinhaltete.

Inzwischen sind Frauen zwar nicht mehr primär in Kampfeinheiten eingesetzt, können im Ernstfall aber definitiv rekrutiert werden. Als patriotische Pflicht gilt es Kinder für die Volkserhaltung und einen eventuellen späteren Konflikt für die Armee zu gebären. Aus diesem Grund wurde der Militärdienst für Frauen modifiziert. Wie in Armenien besteht ab der achten Klasse für alle Schüler Wehrkundeunterricht mit entsprechenden Übungen und für die Männer ein zweijähriger Wehrdienst nach dem Schulbesuch. Diese Maßnahmen zeigen Wirkung.

Medienreise Armenien, Teil 10

Die Streitkräfte Armeniens und vor allem Arzachs sollen zu den besten Kampfeinheiten der Welt zählen. Deutlich wird allerdings auch, daß in Arzach eine Trennung zwischen Religion, zivilem Leben und Militär bis heute kaum möglich scheint. Stolz wird berichtet, daß durch den Kampf der Armenier der Islam im Transkaukasus nicht nur aufgehalten, sondern dies das einzige Gebiet sei in dem er in den letzten zehn Jahren zurückgedrängt, wurde. Wie bereits mehrfach von armenischer Seite gehört, wurde wiederholt die Position der Armenier als „Wächtervolk“ vor den Toren Europas propagiert.

Mag diese Art der Wehrertüchtigung und Propaganda in Westeuropa auf Unverständnis stoßen, so scheinen sie doch Ausfluß einer schweren in der Historie begründeten Traumatisierung des armenischen Volkes zu sein und insofern nachvollziehbar. Nach den Massakern in Sumgait und Baku, sowie den wilden ethnischen Säuberungen zu Beginn der 1990er Jahre in Berg- Karabach durch Aseris, schien sich für die Armenier eine Wiederholung des Völkermords von 1915 – 1918, dem 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen und überlebende Frauen zwangsislamisiert mit Türken verheiratet wurden, anzubahnen.

Medienreise Armenien, Teil 11

Da von der in Auflösung begriffenen Sowjetunion keine Hilfe zu erwarten war, die OMON- Einheiten sogar als Söldner mal auf der einen mal auf der anderen Seite kämpften , mußten die erst mit Wehrspaten geführten Verteidigungsmaßnahmen der einfachen Bevölkerung auf alle Bereiche des Lebens ausgedehnt und professionalisiert werden. Dieser Verteidigungszustand ist noch immer aktuell.

Da auch die internationale Gemeinschaft eher zurückhaltend auf die damaligen Ereignisse reagierte, befand und befindet sich die von Armeniern besiedelte Gesamtregion in einem subjektiv wahrgenommenen existentiellen Bedrohungsszenario. Zwar wurde ein OSZE- Fahrzeug mit „GE“- Zeichen in Stepanakert gesichtet, als es durch die Stadt raste. Ob die Überwachung des über zehn Jahren währenden Waffenstillstandes allerdings konsequent durchführbar ist, bleibt vor dem Hintergrund der permanenten Verletzung dieses Abkommens mit zahlreichen Toten jedes Jahr, unklar.
In Stepanakert wird ein wenig gebaut, vor allem neue Regierungsgebäude.

Von einem Bauboom wie in Yerevan kann man allerdings nicht sprechen. Auf den kleinen örtlichen Märkten wird reichlich Obst und Gemüse angeboten, Versorgungsengpässe scheinen nicht zu bestehen. Arzach macht seinem Namen in der Beziehung alle Ehre. In dieser Gegend wächst so ziemlich alles und von besonderer Qualität. Vor allem die Tomaten, Honig, Wein und Maulbeeren sind erwähnenswert. Ein spezieller Wodka auf Maulbeerbasis gilt den Arzachern als schmackhafte Arznei.

Medienreise Armenien, Teil 12

Die Häuser, Innenhöfe und Hausflure sind sehr verfallen und schmutzig. Die Menschen aber sind freundlich und immer sauber und hübsch zurechtgemacht. Außerdem scheint jeder ein Mobiltelephon zu besitzen. Die Stadt ist recht urban und wirkt friedlich und geschäftig. Jeden Tag ist Musik der vielzähligen Feiern zu hören. Vanjan betont, daß die Sicherheit auch nachts gewährleistet ist, was natürlich nicht auf die Probe gestellt werden will. Die Behörden, die Militärs und die Regierung sind aber in jedem Fall sehr hilfsbereit und freundlich.

Deutlich wird in dieser grünen Stadt jedoch auch, daß die vielen Gärten das Überleben der Familien sichern müssen. Holz ist im Winter sogar ein Hauptenergieträger! Nutztiere grasen auf den Straßenstreifen und behindern den Verkehr. Auf der anderen Seite soll Fernwärme und Gas sowie Ortstelephonate kostenlos sein. Der Krieg und die folgende Arbeitsmigration hatte eine radikale Auswirkung auf die Bevölkerungszusammensetzung in Armenien und Arzach, denn statistisch kommen auf einen Mann vier Frauen. Ebenso ist die Landwirtschaft im Krisengebiet durch Minen und Zerstörungen nur eingeschränkt möglich. Produzierte dieses Gebiet 1990 eine Tonne Wein pro Person , sind heute nur noch 1000 ha Weingarten bewirtschaftet.