Kirgisistan: Ungewisse Zukunft

Juni 2010: Massenproteste führten im April dieses Jahres zu einem Umsturz in Kirgisistan. Die korrupte Regierung wurde aus dem Amt gejagt. Seitdem versucht das Land demokratisch zu werden. Doch die alten Kader besetzen längst wieder wichtige Posten, zudem ist Kirgisistan wirtschaftlich angeschlagen. Der Ala-Too-Platz in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek: Hier gab es jene blutigen Zusammenstöße, die Anfang April die ehemalige Sowjetrepublik erschütterten. Am 7. April lieferten sich hier wütende Regierungsgegner Straßenschlachten mit der Polizei. Sie zwangen die Regierung des korrupten Präsidenten Bakijev zum Rücktritt. 75 Menschen wurden bei den Unruhen erschossen. Die Kirgisen wollten ernst machen mit der Demokratie im Land: Nach der Tulpenrevolution von 2005 war Bakijew nun schon der zweite Autokrat, den sie aus dem Amt jagten. Das Regierungsgebäude wurde gestürmt. Der notdürftig geflickte Zaun um den Regierungspalast und die Einschusslöcher sind beliebte Ausflugsziele geworden. Doch die Veränderungen im Alltag seien dramatisch, beklagt eine Familie.

Geschlossene Grenze

Tatsächlich hat das benachbarte Kasachstan nicht nur die Grenzübergänge geschlossen, sondern auch die grüne Grenze mit Stacheldraht abgeriegelt. Eine Tankstelle liegt auf kasachischem Gebiet. Der kleine, unbürokratische Grenzverkehr war hier jahrzehntelang üblich. Auch die Grenzübergänge selbst waren nach dem Umsturz in Kirgisistan wochenlang geschlossen. Lebensmittel wurden knapp und teuer. Milchtransporter dürfen heute zwar wieder von Kirgisistan nach Kasachstan fahren, die Fahrer aber beklagen sich über die Willkür der Kasachen. Offiziell haben die Nachbarn Kasachstan und Usbekistan die Grenze wegen der Sicherheitslage geschlossen.

Umschlagplatz Dordoi

Die Maßnahme trifft Kirgisistan hart. Die Menschen leben hier vor allem vom Handel. Kurz vor Bischkek liegt Dordoi, der größte Markt Zentralasiens – ein riesiger Umschlagplatz für Waren aus China. Hier decken sich Zwischenhändler mit Produkten ein, um sie weiter nach Westeuropa zu bringen. Kirgisistan sucht nach einem Weg aus der Krise. Leidtragende sind vor allem die Menschen vom Land. Landflüchtige hatten wegen ihrer Armut die Unruhen in Kirgisistan überhaupt erst ausgelöst. Viele fanden Arbeit auf dem Markt. Wenn hier der Handel von Asien nach Europa dauerhaft unterbrochen würde, wäre auch das neue System von ihrer Wut bedroht. Warum das so ist, erfahren wir in den kirgisischen Bergen. Das Leben ist hart, es gibt wenig fruchtbaren Boden, die Menschen leben als Viehhirten. Weil jede Perspektive fehlt, flüchten Tausende in die Städte. Wer künftig Unruhen verhindern will, muss hier ansetzen.

Das Erbe der Sowjetzeit

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus gab es keine Weideordnung für die Viehhaltung mehr. Jetzt sind die besten Wiesen kahl gefressen, es gibt kaum Tierärzte. Doch bessere Verwaltung und Versorgung kosten Geld – das wollen die Bauern nicht zahlen. Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung versuchen sie zu überzeugen, dass auch in der neuen Demokratie Regeln herrschen müssen.

Neue Regeln, auf die sich alle Kirgisen verständigen können, muss auch die Übergangsregierung jetzt finden. Alle Porträts vor dem Sitzungssaal wurden abgehängt – es gibt keine politischen Vorbilder mehr. Im Sitz des Wirtschaftsausschusses wird über neue Regeln diskutiert – Steuer, Zoll, Genehmigungen, alles soll neu und transparent gestaltet werden. Doch die meisten der neuen Machthaber sind bekannte Gesichter, teilweise aus sozialistischen Zeiten. Politiker mit sauberer Vergangenheit gibt es kaum. Auch der Vorsitzende des Ausschusses, der designierte Wirtschaftsminister, zeigt uns stolz Fotos aus seiner Amtszeit als Minister in den 90er Jahren. Bereits zum zweiten Mal in fünf Jahren haben die Kirgisen ein korruptes Regime davongejagt. Jetzt müssen sie zeigen, dass sie die neue Selbstbestimmung auch gegen die Nachbarn Kasachstan und Usbekistan behaupten können.