Kirgisistan: Adoptierte Babuschkas

Soma Tamara Alesandrona – vor vierzig Jahren war sie ein Schlagerstar in Kirgistan und der damaligen Sowjetunion. Ihre Fans sind mit ihr alt geworden und haben sie eingeladen zum jährlichen Babuschka-Treffen in Kirgistans Hauptstadt Bischkek. Hier treffen sich Großmütter aus dem ganzen Land, verkaufen Handarbeiten und selbstgemachte Konfitüre.

Gegen Einsamkeit und Armut

An diesem einen Tag im Jahr ahnt niemand, wie hart das Schicksal der meisten Senioren in Kirgistan ist. Seit die Seniorin Brur Turganova in Rente ist, mache sie Handarbeiten. Das sei eine wunderbare Gelegenheit, aus der Einsamkeit herauszukommen, anderen zu zeigen, was sie geschaffen habe und etwas Geld zu verdienen. Die meisten Tage des Jahres sehen für Senioren in Kirgistan anders aus. Die Durchschnittsrente beträgt 28 Euro im Monat. Wer nicht von der Familie unterstützt wird, ist aufs Betteln angewiesen. Galina Postnikova sitzt seit Jahren im Rollstuhl. Ihre winzige Wohnung ist so eng, dass sie sich damit nur mühsam bewegen kann. Behindertengerecht ist hier nichts. Ohne die Hilfe eines wohltätigen Vereines könnte sie den Alltag kaum bewältigen. Patygul Engervojeva arbeitet für den Babuschka-, den Großmutter-Verein in Bischkek. Sie wäscht, putzt Wohnungen und pflegt die einsamen Alten. Den ganzen Tag über ist die Sozialarbeiterin unterwegs, um denen zu helfen, denen der Staat nicht helfen kann. Und davon gibt es viele in der kirgisischen Hauptstadt.

Hilfe für Bedürftige

Fast eintausend Notfälle werden derzeit betreut. Das Geld für die täglichen Touren stammt von privaten Spendern – 95 Prozent kommen aus dem Ausland. Für rund zehn Euro im Monat können Spender eine persönliche Patenschaft für eine Babuschka, wie die 90jährige Tamara Shevchenko, übernehmen. Sie lebt, wie viele Senioren in Kirgistan, völlig allein.Als der Weltkrieg ausbrach war sie 24, erzählt die Seniorin Tamara Shevchenko. Nach dem Krieg gab es keine Männer mehr und außerdem habe sie jeden Tag zwölf Stunden in der Fabrik gearbeitet. Da war keine Zeit zum Heiraten und Kinderbekommen. Ohne ihren Spender würde die kranke Frau verwahrlosen. Eine staatliche Altenpflege gibt es nicht. Wer dem Elend entkommen will, muss auf private Hilfe hoffen.

Die Sozialarbeiterin Patygul Engervojeva betreut im Moment fünf Babuschkas. Es sei sehr aufwändig, weil diese über die ganze Stadt verteilt wohnen. Die Kosten dafür tragen die Spender, die symbolisch eine der Großmütter adoptiert haben. Babuschka-Adoption nennt sich deswegen auch das Hilfswerk für notleidende Großmütter. 14 Angestellte arbeiten heute bei dem Verein. Für die rund eintausend Senioren haben sie bereits siebenhundert Förderer gewinnen können.

Auf der Suche nach Partnern

Die Chefin Aidai Kadyrova will künftig auch in Deutschland verstärkt für ihre Stiftung werben. Das besondere bei uns ist, dass wir den alten Menschen nicht nur mit Geld und Pflege helfen, so die Direktorin der Babuschka-Adoption Aidai Kadyrova. Es gäbe auch einen sehr engen Kontakt zwischen Spender und Babuschka. Manche kommen sogar her und reparieren Häuser oder schreiben Briefe. Mindestens 150 Euro muss ein Förderer im Jahr spenden. 30 Euro behält die Organisation für die Pflegedienste. Der Rest wird direkt ausbezahlt. Ohne die Hilfe würden manche Senioren schon nicht mehr leben, meinen die Pfleger. Für Varid Sadjekov ist Geld sehr wichtig. Sie ist schwer krank und die Krankheit ist teuer. Wenn etwas übrig bleibt, kauft sie Kleidung. Für den Winter habe sie keinen Mantel. So helfen die Spender nicht nur mit Geld. Manchmal tragen die Sozialarbeiter große Pakete aus, Geschenke aus dem Ausland. Olga Fedorova bekommt ein Päckchen aus der Schweiz. Die Freude ist groß, denn auch wer noch Kinder oder Enkel hat – meist von ihnen arbeiten im Ausland und kämpfen selbst ums wirtschaftliche Überleben. Geschenke für Oma sind da nicht drin.

Raus aus dem Elend

Einen letzten Termin nimmt Sozialarbeiterin Ainura Kasukuva heute noch wahr. Nachbarn hatten die Babuschka-Organisation auf eine verwahrloste Frau aufmerksam gemacht. Diesmal ist Ainura erschüttert. Die verwirrte Antonina lebte jahrelang allein. Ihre Wohnung gleicht einer Müllhalde, die meisten Möbel hat die Besitzerin verbrannt, um es im Winter warm zu haben. Alkohol und Armut haben sie ausgezehrt. Die Frau wird als Bedürftige in die Kartei aufgenommen. Jetzt muss ein Spender gefunden werden. Diese Frau könnte unmöglich weiter in so einem alten Haus wohnen, erklärt Ainura Kasukuva. Sie bräuchte eine Wohnung, die beheizt ist und wo es ein Toilette gibt. Raus aus dem Elend und raus aus der Einsamkeit – mit Selbsthilfegruppen und emsiger Sozialarbeit versucht die Babuschka-Adoption das zu ersetzen, was Aufgabe des kirgisischen Staates sein müsste. Ohne private Hilfe aus dem Ausland wäre das unmöglich.