Februar 2008: Die Bulgarische Oberschicht lebt in Angst – ihr Wohlstand zieht Kriminelle an, vor allem Kindesentführungen nehmen zu. Polizei und Staat sind hilflos.
Die Personenschützer der bulgarischen Firma Sot simulieren den Ernstfall. Das private Unternehmen probt aber nicht für einen Anschlag auf einen Politiker, sondern für den Fall einer Kindesentführung. Ein lukratives Geschäft, denn immer wieder werden in Bulgarien Jugendliche entführt, um mit ihnen Lösegeld zu erpressen.
Es sind vor allem die Viertel der Reichen, in denen die Angst umgeht. In Bankja, einem schicken Stadtteil im Westen der Hauptstadt Sofia, leben Politiker und Geschäftsleute aus dem In- und Ausland. Die Polizei ist hier genauso präsent wie private Sicherheitsdienste, die belebte Straßen und Schulwege überwachen. Die Angst ist nicht unbegründet. Diesem Unternehmer entführte eine organisierte Bande im März 2007 den Sohn. Sieben Wochen blieb er verschwunden, dann zahlte der Vater, der unerkannt bleiben will, 100.000 Euro.
Geschäft Kindesentführung
Der Geschäftsmann zahlte und erhielt seinen Sohn zurück. Die Täter wurden nie gefasst. Etwa 15 solcher Entführungen gibt es in Bulgarien pro Jahr, schätzt der Journalist Stefan Milanov, der für die Zeitung Noschten Trud einige der Fälle recherchiert hat. Darunter so spektakuläre Entführungen wie die der Tochter des Bürgermeisters Fidel Beew im Jahr 2003 oder die des Sohnes von Verkehrsminister Wilhelm Kraus, 2007. Einige Banden hätten sich auf das Geschäft spezialisiert, meint der Journalist, weil das Risiko gering und die Beute hoch seien. Manche der Opfer sind seit Jahren verschwunden.
Die Polizei ist gegen diese Banden weitgehend machtlos. Zwar gibt es eine spezielle Einheit beim Innenministerium, doch die erweist sich als Papiertiger. Die Beamten erfahren nur von ein bis drei Fällen pro Jahr, weil viele Opfer der Polizei nicht trauen. Außerdem gibt es zu wenig Geld und Technik, etwa, um Telefone abzuhören.
Familien in Gefahr
Kein Wunder, dass gefährdete Geschäfts- und Privatleute lieber auf Sicherheitsdienste setzen. Immer mehr Fahrzeuge besitzen einen SOS-Knopf, mit dem ein Notruf zu einer Zentrale gesendet wird, die das Fahrzeug per GPS sofort findet. Ein gutes Geschäft für Sot, die größte Sicherheitsfirma des Landes. Der Service ist teuer, doch technisch und personell ist die Firma weit besser ausgestattet als die Polizei – und sie rüstet weiter auf. Diese Sicherheit können sich allerdings nur wenige Bulgaren leisten. Dabei gibt es längst eine andere Form der Entführung, die nicht nur die Reichen trifft. Maja Ivanova verlor ihre beiden Kinder, weil deren Vater sie nach Australien verschleppt hat. Seit acht Monaten ist die Mutter ohne Nachricht von ihnen.
Die Hilfsorganisation Stopcrimes kennt viele Fälle wie diesen. Die wirtschaftlich schlechte Lage im Land treibt Väter oder Mütter häufig ins Ausland. Wenn daran die Familie zerbricht, nimmt ein Elternteil die Kinder einfach mit. Simeon Pamuklistki vermisst seine beiden Töchter seit zwei Jahren. Deren Aufenthaltsort ist bekannt, doch die Behörden sind unfähig zu helfen.
Auf dem Papier hat Pamuklistki Recht bekommen, doch Polizei und Justiz arbeiten bei Entführungen langsam und uneffektiv. Der Familienvater ist nur einer von vielen Bulgaren, die Angst haben ihre Kinder nie wiederzusehen.