Januar 2009: Tel Aviv liegt nur rund 70 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Doch hier ist nur wenig von dem blutigen Konflikt in der Nachbarschaft zu spüren. Das legendäre Nachtleben und die bunte Künstlerszene scheinen unbeeindruckt vom Geschehen in Gaza. Dabei sind Krieg und Gewalt auch in Tel Aviv ein Thema.
Gegen die Gewalt im Gazastreifen demonstrieren einige jungen Araber und Israelis in Tel Aviv. Immer wieder kommt es zu Rangeleien, die Polizei schreitet ein. Ungewöhnliche Szenen in einer Stadt, die sonst ganz anders auf Krisen reagiert. „Jerusalem betet, Haifa arbeitet, Tel Aviv feiert“, heißt es in Israel. So sind auch Krieg und Demonstrationen kein Grund für eine Partypause. Sivan Zagury sagt, dass der Krieg in Israel genau der Grund sei, weshalb sie eine Party feiern. Jeder hier stehe unter einem großen Druck und ist so angespannt. Sivan arbeitet für eine kleine Agentur, die Touren durch das legendäre Tel Aviver Nachtleben anbietet. Touristen aus dem Ausland und aus Israel werden durch die Partyszene geführt, Freigetränke inklusive. Der Andrang ist groß, denn der Ruf der Stadt als Partyhauptstadt des Nahen Ostens ist trotz der Konflikte in Gaza ungebrochen. Rund 20 Euro kostet die Tour durch die Nacht.
Feiern in Tel Aviv
Einer der intimsten Kenner der Szene ist DJ und Musikjournalist Amir Egozy. Auch er bemerkt, dass die politische Krise die Feierstimmung nicht verdirbt. Die gerade mal 500.000 Einwohner füllen hunderte Clubs, Bars und Diskos in der Stadt. Die Stadt sei wirklich sehr aktiv, verglichen mit anderen Städten in der Welt. Diese sind vielleicht zehnmal größer, haben aber auch nicht mehr Angebote als Tel Aviv, so Amir Egozy. Für ein Internetportal beschreibt er die Clubszene und die Trends im Musikbusiness von Tel Aviv. Auch hier hinterlässt der Konflikt mit den Islamisten Spuren – allerdings nehmen die Städter die Sache mit Humor. So wird dem Hisbollah-Chef jeden Tag ein Sinnspruch in den Mund gelegt. Heute zum Beispiel erregt er sich über die Unhöflichkeit, Feriengrüße per SMS zu versenden.
Tel Aviv – moderne Stadt am Meer
Die Partykeller der Stadt liegen gerade mal 70 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Doch zu spüren ist von dieser Nähe nichts. Die Strandbars haben ganzjährig geöffnet, auch im Januar fallen die Temperaturen kaum unter zehn Grad. Tel Aviv ist eine moderne, westliche Stadt, ein Paradies für Musiker, Designer und Straßenkünstler. Werfe man hier einen Stein, sagen die Einwohner, treffe man eine Katze oder einen Künstler. Eine, die das Bild dieser Stadt einfangen will, ist Gurit Magen. Die Designerin liebt die kleinen Läden und Trödelmärkte in der Altstadt. Hier holt sie sich Anregungen für ihre ungewöhnliche Alltagskunst. Aus dem, was sie im Trödel entdeckt, schafft sie neue Gebrauchsgegenstände, zum Beispiel diesen Kronleuchter aus alten Teekesseln. Designerin Gurit Magen lässt sich dabei von ihrer Heimat inspirieren. Deshalb sucht sie nach Dingen, die die Leute weggeworfen haben. So entstehen Obstschalen aus Gasflaschen und Kerzenständer aus Rohren. Für Beleuchtung könnten diese alten Fernsehgeräte sorgen, die sonst kein Tel Aviver mehr haben möchte. Sogar eine eigene Weltzeituhr hat Gurit gebaut, sie zeigt die Zeit auf den größten Trödelmärkten der Welt an. Wahrscheinlich gibt es wenige Städte, in der so viele Künstler und Designer leben wie in Tel Aviv. Hunderte Läden bieten selbst entworfene Taschen, Kleider oder Uhren an.
Zwischen Kibbuz und Krieg
Auch die aktuelle Politik taucht in Tel Aviv als ästhetische Spielerei auf. Manche Schaufensterpuppen wurden sogar mit Gewehren ausgestattet. Kein Einzelfall: Auch mit ihren schicken Luxuskörben macht Designerin Tamar Liva aus Politik Mode. Ein Korb etwa erinnert mit aufgedruckten Zeitungsmeldungen an den Libanonkrieg vor zwei Jahren. Und Schneiderin Ilanit Shami macht aus der Arbeitskleidung der sozialistisch geprägten Kibbuzim in Israel Kleidung für moderne Städter. Den Krieg im Gazastreifen und die Angriffe der Hamas haben die Tel Aviver nicht vergessen. Aber sie genießen den Luxus, manchmal abschalten zu können. Alle haben die Möglichkeit zu wählen.“ Man kann wählen, mit all dem nichts zu tun zu haben oder sich zu engagieren. Oder sich aus allem raushalten, das außerhalb von Tel Aviv passiert“, so Gurit Magen. Am Abend sind die Clubs wieder gut gefüllt. Die junge Designerin Gurit Magen will sich zwar nicht aus allem heraushalten, aber trotzdem genießt sie die Atempausen, die ihr Tel Aviv gewährt.