Vergnügungspark für Berufseinsteiger

Juni 2009: 4,4 Prozent Arbeitslose verzeichnete Japan im April dieses Jahres, die Wirtschaftskrise beutelt das Land heftig. Da ist gut beraten, wer möglichst perfekt auf den Arbeitsmarkt vorbereitet ist und das schon in jungen Jahren. In Tokio hat sich ein Freizeitpark darauf spezialisiert, bereits Kinder in die Arbeitswelt der Erwachsenen eintauchen zu lassen.

Künstliche Welten

Wer in der Steinwüste von Tokio plötzlich Möwengeschrei hört, sollte nicht leichtfertig denken, dass es hier auch Möwen gibt – für das Küstengefühl begnügen sich Japaner mit Vogelgeschrei aus dem Lautsprecher. Künstliche Welten locken Japans Konsumenten. Das Einkaufszentrum, zu dem der kreischende Lautsprecher gehört, beherbergt selbst eine besonders perfekte Parallelwelt.
Mr. Kikui begrüßt die Gäste, die nicht älter als 15 Jahre sein dürfen – so wie Mako Nakatani, die mit ihrer Schulklasse einen Ausflug macht. Aus Angst vor der Schweinegrippe tragen die Kinder in Tokio Schutzmasken – der Vorfreude tut das keinen Abbruch. Nach Kidzanja geht die Reise – ins Kinderland. Der Kapitän der Maschine ist gerade elf geworden, trotzdem bringt er die Kinder relativ sicher in eine phantastische Welt. Für umgerechnet 30 Euro kann Mako Nakatani hier eine Stadt im Kinderformat entdecken. Auf einer Fläche, halb so groß wie ein Fußballfeld, herrscht ewige Nacht – weil nachts eigentlich nur Erwachsene wach sein dürfen. Und genau darum geht es hier: Kinder probieren das Leben von Morgen aus. Sie fahren Autos, löschen Brände oder sagen die Nachrichten an. 800 Angestellte kümmern sich um die Kinder und um die moderne Technik, mit der die Kinder für die Zukunft lernen sollen.

Berufswahl spielerisch entscheiden

Die Kinder sollen lernen, wie es ist in verschiedenen Berufen. Wie es ist Geld zu verdienen und zu sparen oder wie wichtig es ist, an die Kunden zu denken, denen man irgendetwas verkaufen will.

Und so funktioniert das Erwachsenenleben in Kidzanja: Zuerst sucht sich Mako einen Job aus: Sie will Ärztin werden und meldet sich im Krankenhaus. Hier erhält sie eine Ausbildung im Schnelldurchlauf. Das sei die Gallenblase, erklärt die Chefin und die werde jetzt operiert. Mit einem modernen Endoskop spürt die junge Chirurgin das kranke Gewebe auf. Das wird dann mit Hilfe eines Lasers sauber entfernt. Dann kommt das Wichtigste: die Bezahlung. Acht Kidzos hat Mako in der halben Stunde verdient. Die kann sie später für Pizza oder Eis ausgeben. 80 verschiedene Jobs gibt es im Kinderland. Sie sind ein Miniaturbild der japanischen Gesellschaft. Lernen kann man alles vom Pizzabäcker bis zum Bakterienforscher. Es sind die Dienstleistungsberufe der Zukunft – Tischler, Maurer oder Klempner gibt es hier nicht.

Konzerne investieren in die Zukunft

Finanziert werden die aufwändigen Pavillons meist von großen Firmen – die Turmuhr vom Uhrenmacher, das Krankenhaus vom Pharmariesen, der Handyshop vom Mobilfunkanbieter und die Abfüllanlage von einem Getränkehersteller. Mehrere 100.000 Euro zahlen Unternehmen dafür, die Kinder an ihre Marken zu binden. Auch wenn Mako für ihr neues Geld ein Konto eröffnet, tut sie das bei einer Bank, die es auch in Wirklichkeit gibt: Training für ein erfolgreiches Konsumentenleben. Und weil viele Japaner schlecht Englisch sprechen, soll der Amerikaner Cory McGowan sie auch noch in der Fremdsprache fit machen.

So müssen die kleinen Nageldesigner im Kosmetikstudio ihre Kunden auf Englisch fragen, welche Farben sie auftragen sollen. Noch vor wenigen Jahren haben sich Japaner ein Arbeitsleben lang an eine Firma gebunden. Das verändert sich rasant und in Kidzanja können die Kinder für diese neue Zeit trainieren, hoffen die Eltern.

Geschichten aus dem Leben

So ist Kidzanja auf Monate hin ausgebucht. Es gilt als Schule der Nation. Nach nur zweieinhalb Jahren wird jetzt ein zweiter Park in Osaka eröffnet. Mako Nakatani hat in vier Stunden acht verschiedene Berufe ausprobiert, sie hat Verbrecher gefangen, Autofahren gelernt und gemodelt. Beim Zahnarzt lernt sie jetzt alles über Zahnpflege und darf am Ende noch selbst eine Füllung einsetzen. Ihr Geld hat sie als gute Japanerin nicht ausgegeben, sondern gespart. Ein Vergnügen gönnt sich die Elfjährige dann aber doch: Mit dem neuen Führerschein mietet sie ein Auto und lässt sich dann an der Tankstelle von den eigenen Klassenkameraden bedienen – die müssen ihr Geld erst noch verdienen.

Redaktion: Thomas Eichberg