Dunkler Jahreswechsel – Tod und Trauer in bulgarischen Nächten

Dezember 2003: Einen guten Rutsch ins neue Jahr, das hat sich wohl jeder von uns gewünscht. In Bulgarien wollte in diesem Jahr aber keine so rechte Feierstimmung aufkommen. Am 2. Weihnachtsfeiertag starben im irakischen Kerbala vier bulgarische Soldaten bei einem Anschlag. Ein fünfter Soldat erlag wenig später seinen Verletzungen. Einen Tag vor Silvester wurden die Leichen in die Hauptstadt Sofia überführt. Viele Bulgaren trauerten um ihre Soldaten.

Dieses und andere Unglücke zum Jahreswechsel sind der Stoff aus dem manche Zeitungsfotographen ihre Geschichten machen. Wir begleiteten eine bulgarische Sensationsfotografin. Sie arbeitet bei der einzigen Nachtzeitung Südosteuropas. Ihre Themen sind ein düsteres Feiertagsprogramm in Sofia.

Volkstrauertag in Bulgarien. Als am 30. Dezember die Särge der im Irak getöteten Soldaten nach Sofia überführt werden, ist an ein fröhliches Silvester nicht mehr zu denken.

Viele können ihren Schmerz gar nicht in Worte fassen. Somit ein trauriger Jahreswechsel. Dadurch für manche ein gutes Geschäft. Raliza Kirilova ist die jüngste Fotographin der bulgarischen Zeitung Trud. Die Zeitung ist das erfolgreichste Boulevardblatt des Landes. Gerade einmal 22 Jahre ist sie alt doch Trauer, Tod und Katastrophen sind ihr Metier, auch wenn sie heute einmal selbst gerührt ist.

Doch Sentimentalität kann sich Raliza immer nur kurz leisten. Die Emotionen schlagen hoch bei der Frage, ob die toten Soldaten Helden seien oder nur ausgenutzt wurden. Der Fotographin jedoch ist Politik egal. Für sie zählen nur aufregende Bilder. Und die findet sie in Sofia vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Fünf Nächte pro Woche lauert sie auf die Tips der Polizei, fährt eilig zu Tatorten und Unfällen. Sie braucht den Nervenkitzel sagt sie, auch wenn die Opfer davon selten begeistert sind.

Honorar für ein Bild ab 4 Euro

Etwa 4 Euro bekommt die gelernte Fotografin, wenn eines ihrer Bilder gedruckt wird. Dieser Unfall allerdings ist nicht spektakulär genug. Keine Leiche, keine Blut, das ist für Raliza keine Story.

Seit über drei Jahren arbeitet sie für die Nachtredaktion der Zeitung „Trud“, die es mit ihren grausigen Geschichten auf Platz 3 der bulgarischen Presselandschaft gebracht hat.  Von 16 Uhr bis früh um 8 dokumentiert Raliza die düsteren Momente der bulgarischen Feiertage.

Doch die oft brutalen Bilder gehören zum Konzept der Zeitung. Legendär ist bis heute das Skandalfoto von 1996, als der ermordete Ministerpräsident nackt auf der Titelseite erschien. Dieses Foto begründete den Ruf von „Noschten Trud“ als hemmungsloses Boulevardblatt.

Gutes Einkommen in Bulgarien

Mit bis zu 400 Euro pro Monat verdienen viele hier das Doppelte des bulgarischen Durchschnitts. Doch im sogenannten „Fledermausteam“ halten es nur die ganz Jungen aus, erklärt der Chefredakteur.

Und das bis zu 10 mal pro Nachtschicht. Schnell macht sich Raliza wieder auf den Weg, wieder ein Tip der Polizei, die für jeden brauchbaren Hinweis 25 Euro erhält. An einer Haltestelle wurde ein bewußtloser Mann gefunden. Er hat keine Papiere, kann nicht mehr sprechen und sich offensichtlich an nichts erinnern. Für Raliza die ersten brauchbaren Bilder der Feiertagsnacht.

Doch noch ist die Nachtschicht nicht zu Ende. Eine Frau hat sich bei der Zeitung gemeldet, sie fühlt sich von der Mafia bedroht und will an die Presse gehen. Für Raliza Routine, doch die Geschichte ist brisant: 6 Jahre habe die Frau als Prostituierte für die höchsten Mafiakreise gearbeitet, erklärt sie. Nun will sie aussteigen und diktiert dem Redakteur Namen und Hintergründe in den Schreibblock.

Kurz vor Mitternacht erscheint schließlich sogar die Polizei, die ebenfalls an diesem Fall interessiert ist. Eine wüste Geschichte von Menschenhandel, Prostitution und organisiertem Verbrechen. Für die Zeitungsleute ein gefundenes Fressen, doch Raliza ist jetzt einfach nur müde und wünscht sich vielleicht doch ein wenig ruhigere Feiertage. Noch lockt sie das Geld, doch wie lange sie diesen Job noch durchhält, weiß sie selbst nicht genau.

Ihre Informantin jedenfalls wird jetzt mit auf die Wache genommen. Ein allzu glücklicher Start ins neue Jahr wird es wohl auch für sie nicht werden.