Bulgarien: Mobile Klinik für Bordsteinschwalben


Februar 2004: Von Syphilis oder Aids haben viele Frauen auf Sofias Straßenstrich noch nie etwas gehört. Auch Kondome kennen die wenigsten. Sozialarbeiter sind jede Nacht unterwegs. Sie beraten und klären auf, damit Frauen und Freier nicht mit ihrem Leben bezahlen müssen.

Wer in Sofia ein billiges Mädchen braucht, kommt an die Löwenbrücke. An der verkehrsreichen Kreuzung warten immer Frauen auf ihre Freier. Viele Mädchen aus dem bulgarischen Hinterland, die ihr vermeintliches Glück hier in der Hauptstadt suchen.

Eine Gruppe junger Sozialarbeiter und Psychologen will jetzt mit einem ungewöhnlichen Projekt den Frauen Hilfe anbieten. Die „Stiftung für Gesundheit und Soziale Entwicklung“ hat einen Kleintransporter zur mobilen Klinik umgebaut. Im Inneren des Busses warten Ärztin Kuseva und ihre Krankenschwester auf eine Kundschaft, die wahrscheinlich nie eine Praxis besuchen würden. 

Viele Frauen wissen nichts über ihr Risiko

Filmen sollen wir möglichst unauffällig, die Sozialarbeiter fürchten um das Vertrauen der Prostituierten. Angeführt wird die Klinik auf Rädern von einem roten Streetworker-Auto. Heute ist allerdings nur wenig los, die kalte Frühlingsnacht schreckt Freier und Mädchen ab.

Trotzdem finden Sozialarbeiter auch jetzt Prostituierte, die – gezwungen oder freiwillig – sogar bei fast Null Grad an der Strasse stehen. Für Arkadiy Radolov eines der größten Probleme überhaupt. Er musste erfahren, dass viele der Frauen fast nichts über die Risiken ihres Jobs wissen – sei es die Kälte oder die steigende Zahl von Geschlechtskrankheiten. So verteilt er auch in dieser Nacht nicht nur Kondome und Gleitcreme, sondern muss auch dem Mädchen aus der Provinz erst erklären, wie sie damit umgehen soll.

Weil alles völlig anonym und kostenfrei, lässt sich die Frau zu einem Gesundheitscheck in der engen und dunklen Mobilklinik überreden. Dr. Kuseva weiß, das vor allem die Zahlen der Syphiliserkrankungen weit höher liegen als in Westeuropa. Mit einem Bluttest soll rasche Vorsorge geleistet werden können. Die Frau fühlt sich in guten Händen und willigt sogar in eine komplette gynäkologische Untersuchung ein.

Unterwegs im Roma-Viertel

Am nächsten Tag werden die Ereignisse im Büro der Stiftung ausgewertet und neue Pläne besprochen. Unterstützt von anderen europäischen Organisationen kümmern sich die Sozialarbeiter um verschiedene Projekte zur Sexualaufklärung und -erziehung in Sofia.

Auch Arkadiy bricht wieder auf – diesmal nach Fakultäta – dem große Roma-Viertel Sofias. Weil er als freier Mitarbeiter von nur einem Projekt nicht leben könnte, hat er sich um die Arbeit mit der armen Minderheit beworben.

Seine Kollegen erklären ihm die Situation: fast 30.000 Roma leben in der Elendssiedlung und täglich kommen neue hinzu, viele in der vergeblichen Hoffnung auf ein besseres Leben in der Hauptstadt. Bei ihren fast täglichen Aufklärungsgesprächen erfahren die Sozialarbeiter, dass ein riskantes Sexleben weit verbreitet ist. So hatten die Roma-Männer im Durchschnitt 2,4 Geschlechtspartner in den letzten drei Monaten, 75 Prozent von ihnen benutzen aus Unwissenheit keine Kondome. Gute Chancen für AIDS oder Syphilis.
Um diesem Problem in Zukunft zu begegnen, hat die Stiftung mit Hilfe der Vereinten Nationen mitten in den Slum eine Sozialklinik gebaut. Arkadiy weiß, dass diese Klinik für viele Roma die einzige Chance ist auf ärztliche Beratung. Vor allem die älteren sind offiziell meist gar nicht krankenversichert.

Doch die größte Hoffnung der Sozialarbeiter liegt auf der Jugend. So haben die Aufklärungsprofis zu einem Gesprächskreis geladen, bei dem der Neuling Arkadiy nur Zaungast sein darf. Schließlich kommen heikle Themen zur Sprache. Doch die Gruppenleiter freuen sich, das die Roma-Jugendlichen weit offener als die Erwachsenen reden, über Liebe, Sex und Verhütung.

Langsamer Erfolg

Und während die Jugendlichen in die Freizeit starten, beginnt für Arkadiy und seine Kollegen die zweite Schicht mit der Mobilen Klinik. Sie wissen, den Erfolg ihrer Arbeit werden sie kaum messen können. Zu oft wechseln die Prostituierten die Stadt oder gar das Land. Immer wieder werden sie neue Frauen an der Löwenbrücke treffen. Die Prostitution auf der Straße abschaffen können sie nicht. Arkadiy und seine Kollegen aber wollen erreichen, dass die Frauen ihren Job zumindest nicht mit dem Leben bezahlen müssen.