Island: Spaß-Bürgermeister macht ernst

Island: Spaß-Bürgermeister macht ernst

Politik muss nicht nur bierernst sein, dachte sich der Komiker Jón Gnarr. Vor allem dann nicht mehr, wenn der Staat so eine Schieflage durchlebt wie 2010, als die Finanzkrise Island umwarf. Jón gründete aus Protest eine Spaßpartei und wirbelte damit bei den Bürgermeisterwahlen 2010 in Reykjavik eine Menge Staub auf. Island Spaß-Bürgermeister macht ernst!

Wenn der beliebteste Komiker Islands die Bühne betritt, dann macht er sich vor allem über eine Sache lustig: über die Isländer selber. Und die feiern ihn auch noch dafür. Heute zieht Jón Gnarr die isländischen Sagen durch den Kakao. Das einzige was daran lustig sei, ist das Morden, sagt er. Wenn der Held einen Gegner erschlägt, muss er ihn mit einem Hieb zerteilen. Das ist lustig. Wenn er mehrfach zuschlagen muss, ist das bloß – unappetitlich. Das ist die Art Humor, die unsere Vorfahren mochten – wie man Leute auf lustige Weise umbringt.

Die Isländer lieben Jón Gnarr für seine satirische Nabelschau. So sehr, dass sie ihn im Frühjahr 2010 zum Bürgermeister der Hauptstadt Reykjavik wählten. 30 Prozent erhielt die „Beste Partei“, wie er seine Spaßpartei nennt. Gnarr nahm die Herausforderung an, obwohl er sich bis heute vor allem als Komiker fühlt.

Das andere Leben

Am nächsten Morgen elf Uhr beginnt für Gnarr wieder das andere Leben – als Politiker. Die Isländer hatten genug von ihren verfilzten Parteien, die die Finanzkrise mit verursacht hatten. Jetzt soll eine Spaßpartei den Stadthaushalt planen. Ein hartes Brot. Der Staat Island und seine Hauptstadt sind hoch verschuldet.

Ein buntes Häufchen an Mitstreitern hat Gnarr um sich gescharrt – die meisten wie er völlige Neueinsteiger. Doch sie haben den Wählern nie falsche Versprechen gemacht, dafür die Wahllügen der anderen Parteien entlarvt – das kam an. Als der neue Bürgermeister jetzt die Energiepreise anheben musste, gab es kaum Protest – die Wähler stehen hinter den Politclowns. Fasziniert ist der ehemalige Punk-Musiker, Taxifahrer und Schulabbrecher von den Ideen der Anarchisten: Niemand soll die Macht haben, alle sollen eingebunden werden.

Erreicht hat er bis heute zwar nur wenig. In den Schwimmbädern soll es kostenlose Handtücher geben, ein Eisbärgehege für den Zoo ist geplant. Doch der Bühnenstar will vor allem die Stimmung in der Stadt verbessern: Die Isländer lachen ihm zu wenig – so wie George, den Gnarr in einer neuen Fernsehserie spielt. Der verbissene alte Mann belehrt die ganze Welt, ohne einmal an sich selbst zu zweifeln.

Mehr Kunst und Kultur

Als Politiker setzt der Schauspieler lieber auf Freundlichkeit und Transparenz. Kunst und Kultur sollen stärker gefördert werden als bisher. So verleiht der Bürgermeister persönlich einen Preis für das beste unveröffentlichte Buch der Stadt. Nicht die alten Eliten will er unterstützen, sondern vor allem Newcomer. Island habe nur zwei echte Schätze, sagt Gnarr, die Natur und die Kunst. Nach dem Scheitern der Finanzbranche will er das Leben in Reykjavik wieder menschlicher machen.

Das macht er an einem einfachen Beispiel deutlich: „Der nette Mann mit dem kleinen Eckladen ist aus dem Stadtbild verschwunden. Stattdessen gibt es große Supermärkte. Die sind weit weg, wir müssen viel fahren. Ich würde gern den netten Mann mit seinem Laden wieder haben.“

Für diese romantische Vorstellung ist der Komiker jetzt den ganzen Tag auf den Beinen. Alles soll weniger zentralisiert sein in seiner Hauptstadt, die Stadtviertel könnten unabhängiger werden, Verwaltung, Ärzte und Versorgung näher bei den Bürgern sein. Deshalb weiht er am Nachmittag ein Pflegeheim ein. Sein Vater hätte hier eigentlich einen Platz bekommen sollen, erzählt er. Doch die Bauarbeiten hätten sich um Jahre verzögert. Gnarrs Vater ist mittlerweile verstorben. Dass die Nachbarschaft hier endlich ein eigenes Pflegeheim hat, ist dem Politiker ein Anliegen.

Viel Zeit hat er nicht – die nächsten Termine warten. Und auch ein Anarchist muss als Bürgermeister pünktlich sein. An den Spagat zwischen Kunst und Politik hat er sich noch immer nicht richtig gewöhnt.

Dabei sind Jón Gnarr bereits heute zwei Dinge gelungen: Er hat das politische System Islands ordentlich durcheinander gewirbelt. Und er hat das Leben in Reykjavik bedeutend lustiger gemacht.

Island: „Spaß-Bürgermeister macht ernst“ ist ein TV Beitrag von EichbergFilm für den MDR.