April 2004: In Bulgarien feiern die Roma jedes Jahr den Tag des Heiligen Todorov. Tausende treffen sich im ganzen Land, um mit wilden Pferderennen den Heiligen zu ehren. In der Stadt Sliven trainieren die Reiter sogar das ganze Jahr über für diesen Tag.
Vor den Toren des bulgarischen Sliven versammeln sich die Pferdebesitzer der Roma wöchentlich zum Wagenrennen. Und alle haben einen sehnlichsten Wunsch: „Ich will nur der erste sein. Immer gewinnen und nie verlieren“, erklärt Plamen, der beste Kutscher der Stadt.
Aufgeregt gibt der Schiedsrichter das Zeichen zum Start. Am längst geschlossenen Flughafen von Sliven liefern sich die zehn Pferdekutschen ein hartes Rennen auf der ehemaligen Startbahn. Die einzigen, die hier noch dahinfliegen wollen, sind heute die Romakutscher, die von ihren Freunden begeistert gefeiert werden.
Pferderennen sind der Höhepunkt im grauen Alltag
Tatsächlich hat Plamen wieder einmal gewonnen, die Rückkehr ins Romaviertel wird zum Triumphzug. Ein kleiner Freudentaumel, den sich die Roma – die Ärmsten der Armen in Bulgarien – einmal pro Woche gönnen. Heute allerdings kann Plamen seinen Sieg nicht ungetrübt genießen, sein Pferd hat sich beim Rennen eine Sehne gezerrt. Er ist besorgt, denn morgen ist das größte Fest der bulgarischen Roma – das Pferderennen zum sogenannten Todorov-Tag. Die Siegprämie von umgerechnet 10 Euro tröstet ihn ein wenig und Plamen verspricht, für alle ein Glas Bier auszugeben, zur Freude der Zaungäste.
Die Pferderennen sind die Höhepunkte im grauen Alltag des Elendsviertels. Ca. 6000 Roma leben hier in Sliven, fast alle sind arbeitslos und viele hungern. Aufstiegschancen gibt es praktisch keine. Die einzigen Jobs sind Hilfsarbeiten für die Stadt. Plamen hat Glück und kann als Müllkutscher etwa 50 Euro im Monat verdienen. Weil seine Frau wegen Diebstahl im Gefängnis sitzt, die einzige Einnahmequelle seiner Familie. Einen ganzen Jahreslohn hat er vor zwei Jahren für sein Pferd bezahlt, die Schulden muss er heute noch abstottern. Eine Investition, die sich eigentlich nicht rentiert.
Doch ihre Tiere sind für die Roma mehr als eine Geschäftsgrundlage. Am nächsten Morgen brechen alle, die den Bus bezahlen können, auf zum Todorov-Tag, dem Festtag der Pferde. Das Elendsviertel wirkt jetzt wie ausgestorben, Ziel ist das 15 km entfernte Dorf Blatez. Ein vermögender Sponsor lädt hier in jedem Frühling zum traditionellen Pferderennen. Viele Hundert Roma aus den Städten der Umgebung kommen zu Musik und Tanz. Einmal im Jahr schwelgt die Gemeinde im Überfluss.
Auch Plamen treffen wir, den Pferdeexperten. Doch weil sein eigenes Tier tatsächlich verletzt ist, bleibt ihm nur, die anderen Reiter zu begrüßen. Sie werden heute um ein wenig Geld und um viel Ehre kämpfen. Denn ein gutes Pferd und Reiterglück, das sind Geschenke des Himmels, ruft uns Plamen zu.
Eselrennen, Tanzwettbewerb und Kurvenfahren
Während die Teilnehmer am Rennen zum über sieben Kilometer entfernten Startpunkt reiten, feiern die tausend Gäste den Tag des Pferdes, fast aller zehn Minuten beginnt jetzt einer der verschiedenen Wettkämpfe. Ob Eselrennen oder Tanzwettbewerb der Männer – wenigstens am Todorovtag hat jeder die Chance, einmal im Jahr der Beste zu sein. Selbst die Kunst des geschickten Kurvenfahrens wird heute prämiert.
Doch die Königsdisziplin ist und bleibt das harte Geländerennen durch die steinige Steppe im Vorbalkan, ein Brauch, der nachweislich bis ins 6. Jahrhundert reicht. Wer sich hier durchsetzt, ist der Stolz des ganzen Dorfes. Reiter und Pferde werden dabei nicht geschont. Kein Wunder, dass die Emotionen hochschlagen. Weil kein Zielfoto existiert, entscheidet der Augenschein oder in Zweifelsfällen der lauteste Schreihals. Immerhin geht es heute um umgerechnet 100 Euro – mehr als ein Monatsverdienst für den Sieger.
So schnell gestritten und gefeiert wurde, so schnell kehrt wieder Ruhe ein im Dorf Blatez. Weil vielen schon kurz nach Mittag das Geld für Limonade und Würstchen ausgeht, wird zu Hause weitergefeiert. Zurück in Sliven tröstet sich auch Plamen darüber hinweg, dass er heute mal nicht zu den Siegern zählt. Doch das nächste Rennen kommt bestimmt und mit ihm die Hoffnung, auf dem Rücken der Pferde dem elenden Alltag davon zu galoppieren.