Bulgarien: Der geheime Postbote

August 2005: Niemand im bulgarischen Piringebirge weiß, wann es wieder passiert. Doch an manchen geheimen Tagen im Monat nimmt Mischu seine Posttasche und bricht auf zu einer gefährlichen Mission, selbst die Autonummer darf nicht gezeigt werden.

Das Postamt in der Kreisstadt ist seine Basisstation. Hier in Melnik hat sich seit hundert Jahren wenig verändert. Und so gibt es statt Online-Banking und Geldautomaten einfach nur ihn – Mischu, den geheimen Geldbriefträger.

Mit einer bunten Plastiktüte voller Banknoten bricht er auf in die unzugänglichen Bergdörfer und verteilt die Rente.

In Bulgarien sind das zwei Jahresgehälter. Eine willkommene Beute für Wegelagerer, und deshalb bleiben Mischus Routen durchs holprige Gebirge streng geheim.

Über eine Stunde braucht er für die fünfundzwanzig Kilometer bis zum Dorf Kaschina. Hier leben heute gerade mal fünfzehn Menschen. Sie alle sind Rentern, leben nur von dem Geld, das Mischu ihnen bringt.

Es spricht sich schnell herum, wenn der Rentenbote im Dorf ist. Kein Begleitschutz, keine Dienstwaffe sichern seine Lieferung in der wertvollsten Plastiktüte des ganzen Gebirges. Alle freuen sich, wenn Mischu kommt, auch, um ihre alten Geschichten zu erzählen. Kinder und Enkel leben schließlich schon lange in der Stadt.

Doch viel Zeit zum Plaudern hat auch Mischu nicht. Meist kann sein Geldtransporter nur im ersten oder zweiten Gang fahren, so schlecht sind die Straßen auf den einsamen Gebirgspässen. Das Auto gehört ihm selbst und die häufigen Reparaturen zahlt er aus eigener Tasche. Alle 20 Minuten muß er Sprit nachfüllen, weil die Benzinleitung kaputt ist.

25 Euro fürs Tanken

Umgerechnet 25 Euro bekommt er fürs Tanken, doch bei den gestiegenen Preise, zahlt er fast immer drauf.

So verdient Mischu weniger als die Rentner, die er beliefert. Doch weil niemand sonst den anstrengenden Job machen will findet, bleibt er dabei.

Auch im Dorf Rojen (Roschen) hat Mischu Glück: alle kommen persönlich, um ihre Rente zu abzuholen. Wäre einer der Rentner zufällig nicht zu Hause, müßte der Postbote am nächsten Tag noch einmal die ganze Strecke abfahren, schließlich braucht er eine persönliche Unterschrift.
Nach der Auszahlung wird Mischu meist zum Schnaps eingeladen. Doch er bleibt tapfer bei Wasser und Kaffee, schließlich muss er wieder zurück ins Tal fahren.

Noch genießt er den sonnigen Herbst. An den kommenden Winter mag er gar nicht denken. Dann sind nicht nur die Straßen eine echte Gefahr für ihn und seine wertvolle Plastiktüte.

Eine Waffe gegen Räuber habe ich nicht dabei, erklärt er. Aber im Winter, wenn die Tiere hungrig sind, nehme ich immer einen Knüppel mit gegen streunende Hunde.

Die Menschen jedenfalls sind glücklich wenn er kommt. Manche freuen sich so, dass sie ihr Geld gleich am ersten Tag wieder ausgeben. Familie Blaga hat dagegen ganz klare Regeln eingeführt.

Für heute hat Mischu sein Geld verteilt. Jetzt muß er sehen, dass er selber auch noch was verdient. Weil er vom Postgehalt allein nicht leben kann, hilft er seinem Schwager im Herbst bei der Erdnußernte. Wieder eine mühsame Arbeit und reich wird der geheime Bote auch hier nicht.

Noch einmal acht Kilometer fährt Mischu am Abend bis nach Hause. Morgen geht es erneut in die Berge, Zeit und Wegstrecke sind streng geheim und hoffentlich hält das Auto durch.
Doch die Alten in den Bergen warten sehnsüchtig auf ihren letzten Kontaktmann zur Außenwelt.

Redaktion: Thomas Eichberg