Bulgarien: Bioprodukte aus dem Todesstreifen

August 2008: Hinter dem Stacheldraht beginnt ein vergessenes Land. Im ehemaligen Todesstreifen zwischen Griechenland und Bulgarien, liegt ein ganzes Dorf, das im Sozialismus nur wenige betreten durften. Bulgarische Grenzsoldaten waren die einen. Die anderen: Bauern, wie Milko Hadjiev, die dort ihre Felder und Häuser hatten.
Knapp drei Kilometer war der Todesstreifen an einer Stelle breit und umschloss das Dorf Arda. Erst nach zwanzig Minuten quer durchs Sperrgebiet wird die eigentliche Grenze zu Griechenland erreicht. Ein System aus Mauern und Zäunen sollte die Bulgaren an der Flucht hindern.

Trotzdem blieben die Grenzbauern, weil das sozialistische Bulgarien dort die Landwirtschaft subventionierte. Als nach der Wende die Förderung ausblieb, gingen die meisten weg. Milko Hadjiev aber kümmerte sich weiter um Grundstück und Haus. Mit Wehmut zeigt er seinem Enkel das einst stolze Familienerbe. Und obwohl der Bauer schon längst 2 Kilometer außerhalb der ehemaligen Sperrzone wohnt, will er seinen Besitz im Todesstreifen nicht aufgeben.

Biogemüse bringt kleinen Aufschwung

Gemeinsam mit seiner Frau bewirtschaftet er das Brachland. Und sie sind nicht mehr die einzigen: Immer mehr Rückkehrer versuchen ihr Glück mit dem Anbau von Bio-Gemüse. Alte Arbeitstechniken, keine Chemie, intakte Natur – selbst Anfänger wittern eine Chance.

Dank der neuen Bauern erlebt der kleine Ort eine Renaissance. Sogar die ehemaligen Bewohner kommen einmal im Jahr zurück in ihre alte Heimat, um den Fortschritt zu begutachten oder gemeinsam traditionelle Gerichte zu kochen. Dazu gehört das berühmteste Produkt der Region: Ein Joghurt, der angeblich nur dort hergestellt werden kann, weil die Kultur „bazillus bulgaricus“ woanders nicht überleben würde.

Doch so gern die Dorfbewohner über ihre Bioprodukte sprechen, so ungern reden sie über die Vergangenheit, als ihr Dorf zwischen zwei feindlichen Staaten lag.

Das geheime Tunnelsystem

Dabei verlief die Geschichte der bulgarischen Grenzgebiete ähnlich brutal wie die der deutschen.  Der ehemalige Offizier Ivan Dimitrov war dort im Dienst und will die Geschichte der Todeszone aufarbeiten.

Verbunden waren die Verteidigungspunkte durch ein geheimes Tunnelsystem – mit 150 Kilometern die längste Verteidigungslinie des Ostblockes auf dem Balkan. Bis heute weiß kaum jemand im Land von diesen Anlagen.

Selbst zurückgelassene Panzer der deutschen Wehrmacht wurden nach dem zweiten Weltkrieg genutzt, um die Grenzen zu sichern. 77 deutsche Panzer wurden in den Zeiten des kalten Krieges in die bulgarische Armee übernommen.

Weil sich die Staatsführung permanent im Krieg wähnte, ging sie im Grenzgebiet rücksichtslos gegen Abweichler vor. Der alte Konstadin Blatschkov ist einer der wenigen, die heute darüber sprechen. Der Antikommunist schmuggelte Flüchtlinge über die Grenze und besuchte in der Türkei sogar eine Agentenschule. Das bulgarische Regime enttarnte ihn und ließ den Spion foltern. Die anderen Männer bestätigen seine Geschichten.

Schwerer Neuanfang

Die dunkle Geschichte der bulgarischen Grenze ist bis heute nicht aufgearbeitet. Die meisten Menschen versuchen einfach, ein möglichst normales Leben zu führen. So, wie Milko Hadjiev, der darauf hofft, seine Bioprodukte aus dem ehemaligen Todesstreifen bald an den Mann bringen zu können. Ein erster Erfolg könnte der berühmte Joghurt sein, den die Bauern aus frisch gemolkener Milch herstellt.

Vor über einhundert Jahren wurde der  Bacillus Bulgaricus, der diesen Joghurt reifen lässt entdeckt. Ihm sollen die Bergbauern ihre hohe Lebenserwartung verdanken. Vielleicht gelingt mit ihrer Hilfe tatsächlich ein Neuanfang an der bulgarischen Südgrenze.

Redaktion: Thomas Eichberg