Albanien: Die Flut im Norden

Albanien: Die Flut im Norden, Januar/Februar 2010

Albanien: Die Flut im Norden ist eine TV Reportage von EichbergFilm.

Frühmorgens im Nordwesten Albaniens inmitten der Stadt Shkodra. Hier gilt jetzt Hochwasser-Alarm. Präsident Bamir Topi macht sich persönlich ein Bild von der Lage im Überschwemmungsgebiet. Die dramatischen Pegelstände sinken nur langsam. Rund um die Großstadt Shkodra sind ganze Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten.

In Ana Malit etwa steht das Wasser einen Meter hoch über dem Ackerland – dem fruchtbarsten in ganz Albanien, wie es heißt. Unser Bootsführer Spetim bestätigt uns, dass noch überall in den Häusern Menschen leben. Sie wollten ihre Heimat nicht verlassen, als die Flüsse Drin und Buna über die Ufer traten. Der ungewöhnlich warme Jahresbeginn ließ den Schnee schmelzen, dazu kamen zehn Tage Dauerregen. Die übervollen Talsperren mussten geöffnet werden, um Dammbrüche zu verhindern. Auch die maroden Deiche am Fluss hielten nicht mehr stand. Rund 10.000 Hektar Agrarland sind jetzt überflutet – eine Fläche, größer als die gesamte Sächsische Schweiz bei Dresden.

Albanien: Die Flut im Norden betrifft 230.000 Menschen

Der studierte Veterinär Bami Topi verspricht schnelle Hilfe für die Betroffenen. Vor allem aber sichert er gerechte Verteilung und den öffentlichen Nachweis für die Verwendung der Hilfsgelder zu. Keine Selbstverständlichkeit im korrupten albanischen Staatsapparat. Rund 230.000 Menschen sind vom Hochwasser betroffen. Die meisten sind in ihren Häusern geblieben. Auch Vehbje Xhaka versucht zu retten, was zu retten ist. Sie lebt hier mit ihren zwei Söhnen, hat das Haus am Fluss gerade neu gebaut. Dabei dürften hier gar keine Gebäude stehen. Es sind – wie bei fast allen Nachbarn – illegale Bauten, entstanden ohne Genehmigung, mitten im Flutgebiet. Weil immer mehr Familien aus den Bergen in die Nähe der Stadt zogen, wurde auf dem Acker gebaut. Bauland war knapp und teuer. Solange die Deiche des Flusses intakt waren, war das kein Problem. Jahrelang kontrollierte hier keine Behörde – und wenn doch, gab es die Genehmigung gegen Schmiergeld. Jetzt geht der Schaden in die Millionen.

Vollständiger Verlust der Ernte

Familie Xhaka ist ein typischer Fall: Früher lebte sie in einem kleinen alten Haus, nicht so nah am Fluss. Doch die Milchproduktion hat ihr zu einem kleinen Wohlstand verholfen. Ein neues Haus musste her, direkt am Wasser, wegen der schönen und billigen Lage. Jetzt sind die neuen Holztüren aufgequollen, die Familie muss ein zweites Mal malern. Die wirkliche Katastrophe aber ist der Verlust der kompletten Ernte. Vor allem der Futtermais ist betroffen. Für die Milchbauern eine Katastrophe. Zum Glück konnten sie wenigstens ihr Vieh retten. Weil der Stall zerstört ist, leben die Kühe jetzt im alten Haus der Familie, 300 Meter entfernt, weiter oben am Hang. In der Region sind insgesamt fast 5.000 Kühe und 10.000 Schafe vom Futtermangel betroffen. Sie müssen jetzt mit konzentriertem Kraftfutter ernährt werden, das die Regierung verteilt.

Lebensmittel können knapp werden

Vehbje Xhaka sagt uns, dass die Tiere die Fertignahrung auf Dauer nur schlecht vertragen würden. Schon jetzt geben ihre zehn Kühe weniger Milch als normal. Für sie ist es ein Glück, dass wenigstens das alte Haus noch steht. Sonst müssten die Kühe im Januar draußen leben – das wäre noch schlechter. Doch wenn die Familie jetzt weniger Milch verkaufen kann, reicht das Geld nicht mehr für frisches Futter. Dann wird der Ertrag noch weiter zurückgehen – ein Teufelskreis. Manche Experten fürchten bereits eine Lebensmittelknappheit in Albanien, weil ausgerechnet der ertragreichste Landstrich betroffen ist.

Keine Kläranlagen funktionieren

Etwa alle 20 Jahre tritt ein solches Hochwasser in Albanien auf. Trotzdem war das Land schlecht vorbereitet. Schnelle Hilfe kam von den Nachbarn, vor allem aus Italien. Selbst das Kosovo hat sich an Hilfsaktionen für die überschwemmte Stadt Shkodra beteiligt. Erst jetzt werden die vollgelaufenen Kanäle in der Stadt ausgepumpt. Die Pumpen dazu mussten erst von italienischen Helfern besorgt werden. Nun soll das Wasser über Schläuche in Flüsse und Seen gepumpt werden. Doch genau durch diese Rettungsaktion droht das nächste Problem. Auch die Abwässer werden abgepumpt und in die Natur gespült. Funktionierende Kläranlagen gibt es nicht. Der ganze Müll der Stadt landet ungeklärt in der Adria – eine Umweltkatastrophe.

Der Druck auf die Politik wächst

Präsident Bamir Topi gerät jetzt zunehmend unter politischen Druck. Er habe nichts gegen die Versäumnisse der letzten 20 Jahre unternommen, gegen die übervollen Talsperren, die maroden Deiche und vor allem nichts gegen die illegalen Bauten. Deshalb versucht Topi jetzt mit guten Worten für seine Hilfsaktionen zu werben. Doch die Bewohner im Dorf Ana Malit sind skeptisch und trauen ihrer Regierung nicht recht. Vehbje Xhaka sagt, dass ihr Hilfgüter versprochen wurden. Sie aber brauche vor allem Geld, um frisches Futter zu kaufen, sonst stünde ihre Existenz auf dem Spiel. Die Flut in Albanien könnte tausende Existenzen kosten, denn mit dem Wasser wird auch die internationale Hilfe bald verschwunden sein. Das arme Land ist dann auf sich selbst gestellt. Jetzt hoffen die Albaner, dass ihre Regierung aus der Katastrophe gelernt hat. Nur mit einer funktionierende Baupolitik und Investitionen in Deiche und Umweltschutz kann sie ihre Bürger vor dem nächsten Hochwasser schützen. Sie wissen: Das Wasser hat die Natur geschickt, die Katastrophe aber ist hausgemacht.

Albanien: Die Flut im Norden, ist eine filmische Reportage von EichbergFilm für MDR/ARD