Serbien: Trubel beim Blasmusikfestival


August 2009: Es ist wie ein Ritterschlag für serbische Musiker – einmal in Guca zu spielen. Denn hier auf dem Festival der Blasmusik dürfen nur die Besten auftreten. Das Spektakel lockt jedes Jahr bis zu einer halben Million Menschen an – ein kleines Bergdorf im Ausnahmezustand.
Tief in den Bergen Südserbiens liegt der kleine Ort Guca – ein wahrhaft verschlafenes Nest. Doch einmal im Jahr schickt die Telefongesellschaft ihre Leute, um hier für eine Woche einen eigenen Sendemast fürs Handynetz aufzustellen. Denn jeden August erlebt das Städtchen eine Invasion.
Auf jeden Einwohner Gucas kommen nämlich 100 Partygäste, die sich freuen auf fünf Tage Sex, Drugs und – Trompetenmusik. Denn seit 49 Jahren steigt hier das größte Blasmusikfestival der Welt. Über 100 serbische Kapellen ziehen durch die Straßen, jeder Quadratmeter ist mit Autos und Zelten vollgestopft. Spielen darf nicht jeder, nur die besten Balkan-Musiker werden für Guca ausgewählt. Für die Bands ist die Einladung ein Ritterschlag.
Traditionell sind es vor allem die Roma, die in Guca auf gute Geschäfte hoffen, egal ob als Musiker, Händler oder Tänzerinnen. Suszan und Nena sind mit ihren Eltern angereist. Umgerechnet 700 Euro wollen sie in den nächsten Tagen verdienen – davon können sie dann zwei Monate leben, erklärt Vater Dule. Die Mädchen sind gerade 17 und 14 Jahre alt. Sie hoffen auf ein paar Dinar, die ihnen Passanten zustecken. Für Roma-Mädchen noch immer ein normaler Broterwerb.

Mit Straßenmusik hat auch die Band von Superstar Boban Markovic angefangen. Heute kann er sich teurer verkaufen, ist mit Filmmusik und Konzertourneen weltberühmt geworden. Weil sein Orchester schon dreimal das Festival gewonnen hat, durfte er bisher nur noch als Ehrengast teilnehmen. Doch die einst strengen Regeln sollen künftig gelockert werden. Serbien öffnet sein wichtigstes Kulturfestival für andere Künstler.
Die letzten 49 Jahre war das Trompetenfestival eine streng nationale Veranstaltung. Die alten Plakate versprechen: Hier spielen jugoslawische Bands regionale Folklore. Neuerungen waren ein halbes Jahrhundert lang nicht erwünscht. Bis heute gibt es nationalistische Tendenzen: Auf T-Shirts und Flaschen werden die gesuchten Kriegsverbrecher Karadic und Mladic als Helden gefeiert. Doch Serbien will sich zum Westen hin öffnen. Die US-Militärkapelle macht schon mal den Anfang, wenn auch nur im Rahmenprogramm. Auch, wenn die Guca-Besucher bei Latin-Jazz nicht so richtig in Fahrt kommen, ist der Bürgermeister von diesem Weg überzeugt.
Für die Künstler am unteren Ende der Leiter wird sich aber wohl nicht viel ändern. Nena und Suszan klagen: In der Finanzkrise seien die Leute noch geiziger.
Für die Großen aber läuft das Geschäft. Die Stars um Boban Markovic füllen locker das Stadion von Guca – auch wenn hier Extra-Eintritt fällig wird – für ein paar zugesteckte Scheine spielt Markovic längst nicht mehr. 4,5 Millionen Euro geben die Veranstalter aus, das meiste kommt von Sponsoren und aus der Verpachtung von Standflächen für die vielen Imbissbuden. Weit nach Mitternacht lohnt sich der Auftritt dann auch für die kleineren Bands. Wenn sie Glück haben, stecken ihnen Fans in Guca bis zu 1.000 Euro pro Stunde zu. Trotzdem ein hartes Geschäft – erst gegen früh um vier ist Schluss für Trompeter und Gäste. Geweckt wird aber pünktlich sieben Uhr – dann beginnt der lärmende Tanz von vorn. Die Zeit ist zu kostbar, um sie zu verschlafen.

Nur für Familie Marinkovic hat sich der Ausflug noch nicht gelohnt, Geld für Benzin und Essen muss erst noch verdient werden, sorgt sich Mutter Vera, die fünf Tage lang mit den Kindern im Auto wohnt. So haben ihre Mädchen keine Wahl. Nach dem Frühstück sind sie wieder unterwegs, um den serbischen Machos ein bisschen Geld aus der Tasche zu ziehen. Ein Job, der zu Guca gehört wie die Trompeten. Daran dürfte sich auch dann nichts ändern, wenn die Stars künftig auch aus dem Ausland kommen.

Redaktion: Thomas Eichberg